Das Prinzip der Nachahmung

 

Dieser Moment, in dem dich dein Kind mit «den eigenen Waffen schlägt».

 

Als unsere grosse Tochter etwa 5 Jahre alt war, zeigte sie mir das Prinzip der Nachahmung auf ihre eigene kindliche Weise. Unsere morgendliche Routine beinhaltete damals, dass sie noch genügend Zeit zum Spielen hat,  bevor wir in den Kindergarten fahren. Sie ging in einen Montessorikindergarten, der 20 Kilometer von unserem Wohnort entfernt liegt.

 

Bis zu diesem Tag hatte ich eines dieser Luxusprobleme…

(Während Familiencoachings erzählen mir Eltern oft, dass es für sie sehr schwierig ist entspannt aus dem Haus zu kommen. Vor allem dann, wenn sie einen Termin haben und ihre Kinder noch mit anderen Sachen beschäftigt sind.)

 

Ich begann schon ziemlich früh mich darauf einzustellen, dass Kinder genügend Zeit benötigen, wenn ICH mit ihnen zu einer bestimmten Zeit irgendwo sein möchte. So achtete ich stets darauf frühzeitig anzukündigen, dass ich «bald» los möchte. Dafür sagte ich zum Beispiel konkret: «Ich packe jetzt noch meine Sachen zusammen und dann gehen wir.» Sobald ich dann fertig war, ging ich zu meiner Tochter und machte sie darauf aufmerksam, dass ich fertig sei. Und sie - zog sich direkt an…

 

Nach einiger Zeit änderte sich unser Verhalten…

Bei meiner grossen Tochter und mir verlief das «aus dem Haus kommen» plötzlich so ab:

 

Ich: (schon 20 Minuten bevor wir tatsächlich los müssen.)

 

«Wir gehen gleich los.»

 

Sie: «Ja Mama.»  - ZACK sie springt auf und zieht sich an…

 

Nach 3 bis 5 Minuten…

 

«Mama, ich bin fertig. Gehen wir jetzt?»

 

Ich, etwas hektisch, weil ich dachte, dass sie sowieso noch einige Zeit spielt, bevor sie sich anzieht… «Ja, ich komme gleich. Ich will noch schnell meine Sachen einpacken.»

 

Sie, sehr geduldig: «Ok Mama.»

 

Weitere 5 Minuten vergehen…

 

«Mama, kommst du endlich?»

 

Ich, noch hektischer, weil ich nichts vergessen möchte…

 

«Ja, ich gehe noch auf Toilette. Musst du auch?»

 

Sie, Augen verdrehend und der Ton etwas genervt…

 

«Nein Mama.»

 

Ich: «Ok, wir können los.»

 

Sie: «Na endlich…»

 

 

Ohne das ich es bemerkte schlichen sich neue Verhaltensmuster ein. Ich war dadurch gestresster, weil ich

 

1.     Gerne pünktlich bin und

 

2.     Zeitdruck furchtbar finde.

 

Diese Kombination hat dazu geführt, dass ich mit meiner grossen Tochter plötzlich Konflikte hatte. Sie war genervt, weil ich nicht direkt mit ihr los konnte. Ich war genervt, weil es immer öfter vorkam, dass sie zwar angezogen im Flur stand, jedoch nicht alle Sachen für den Kindergarten eingepackt hatte.

Dann spielte sie mir (mein Gefühl in diesen Momenten) auch noch den Ball zu, im Sinn von

«Du hast ja gesagt ich soll mich anziehen. Du hast nichts davon gesagt, dass ich schauen soll, was ich für den Kindergarten brauche!»

Meine Antworten klangen dann in etwa so: «Boa echt? Du hast doch deinen Plan, da steht alles drauf. Das kennst du doch jetzt schon?!»

 

Kabummm – Krach auf allen Ebenen…

 

Anstatt in der Früh aufzustehen und zu denken: «Heute mache ich es anders.»

Dachte ich: «Oh, das wird heute wieder anstrengend…»

 

 

Etwa drei Wochen lief es so bis mir meine Tochter den Spiegel direkt vor die Nase hob!

 

Ich: «Wir gehen gleich los, ziehst du dich bitte an?»

 

Sie: «Gleich Mama, ich male das Bild noch fertig!»

 

Ich: «Ok.»

 

Ich, nach 15 Minuten – an ihrer Zimmertür stehend:

«Wir fahren JETZT los.»

 

Sie: «Ich male noch diesen Strich fertig.»

 

Ich: «Ok, dann gehe ich noch auf Toilette.»

 

Ich, Im Flur stehend: «Ich bin fertig, kommst du bitte?»

 

Sie, auf dem Weg zu mir: «Ich brauche noch meine Turnsachen.»

 

Ich, die Augen verdrehend und mit etwas genervtem Ton: «Wirklich?»

 

Sie, völlig entspannt: «Ja, das steht auf meiner Liste.»

 

Ich, aus tiefstem Herzen lachend: «Danke mein Kind.»

 

Sie: «Wieso lachst du?»

 

Ich: «Weil ich gerade verstanden habe, worum es hier wirklich geht.»

 

Sie: «Na endlich!»

 

 

Ich bin davon überzeugt, dass unsere Kinder nicht dadurch lernen, was wir ihnen erzählen. Du kannst 100 Mal zu deinem Kind sagen «Was sagt man…? BITTE / DANKE…» Wenn du es nicht vorlebst, wird dein Kind niemals von HERZEN «Bitte und Danke» sagen. Sobald du deinem Kind erklären willst was «richtig und falsch» ist in dieser Welt stellst du es unter dich. Du machst es zu etwas kleinem, provokant gesagt törichten Wesen, dem du die Welt erklären willst. Kinder sind anders, sie entdecken die Welt durch Beobachten, Analysieren und machen sich ihr eigenes Bild. Deine Aufgabe als Erwachsener ist es, dein Kind sein zu lassen. Einfach sich selbst sein, damit es seine Erfahrungen machen kann und zu dir kommt, wenn es deine Unterstützung benötigt.

 

Damit dies gelingen kann, benötigst du die Haltung, dass jedes Wesen Gleichwertig ist. Dein Kind hat gleich viel Wert wie du. Es spielt keine Rolle, wie gross oder klein ein Mensch ist. Es ist einfach ein Mensch. Mit all seinen Gefühlen, Verhaltensweisen und Handlungen.

 

Wenn du verstehst, dass du mit deinem Kind auf Augenhöhe kommunizieren kannst, dann entstehen Lebensmomente. Dann lernt ihr voneinander und miteinander. Dadurch kann jeder seine Gefühle, Launen und Muster zeigen und sich vom anderen den Spiegel vorhalten lassen.

 

Sandy Kinnigkeit

Familiencoaching